Sonderforschungsbereich 483

Projektbereich C: Charakterisierung und Modellierung

Gesamtübersicht Teilbereich CIn allen im Projektbereich A betrachteten Demonstrator-Systemen werden keramische Komponenten unter komplexen mechanischen Belastungsbedingungen eingesetzt. Hinzu kommen Gleit- und Friktionskontaktbelastungen in den relativbewegten Wirkflächenpaaren der Kontaktzonen zwischen keramischen Werkstoffen sowie zwischen keramischen und metallischen Werkstoffen. Abhängig von dem sich aus der Funktion ergebenden konstruktiven Design bilden sich bereits im statischen Kontakt Zonen mit hohen lokalen Belastungen aus. Diese müssen im Konstruktionsprozess berücksichtigt werden. Treten zudem Relativbewegungen zwischen den Körpern auf, so kommt es zu tribologischen Wechselwirkungen und – abhängig von den Werkstoffen, den Belastungsbedingungen und dem umgebenden Medium – zu Verschleiß und/oder zu Rissbildung. Abhängig von den vorliegenden Randbedingungen dominiert entweder die Verschleißrate oder der Rissfortschritt als lebensdauerbegrenzender Mechanismus. Zur beanspruchungsgerechten Gestaltung unter Berücksichtigung der keramikspezifischen Eigenschaften und zur sicheren Bewertung sowohl der mechanischen als auch der tribologischen Beanspruchbarkeit der eingesetzten Komponenten im Entwicklungsprozess müssen Methoden und Werkzeuge entwickelt und in den keramikspezifischen Produktentwicklungsprozess integriert werden. Die dabei auftretenden Fragestellungen erforschen die Teilprojekte im Projektbereich C vernetzt mit den Projektbereichen A und B über die drei Projektgruppen.

Im Projektbereich C werden grundlegende Untersuchungen zu den verschiedenen Schädigungsmechanismen durchgeführt. Dabei ist das allgemeine Ziel die Bereitstellung von Modellierungswerkzeugen als Verbindung zwischen der Material- und Wirkflächenentwicklung in den B-Projekten und der Bauteildimensionierung innerhalb der systemorientierten A Projekte. Ausgangspunkt der Modellentwicklung sind die im Projektbereich A betrachteten Tribosysteme und daran angelehnte, abstrahierte Untersuchungen im Projektbereich C an Proben vereinfachter Geometrie. Die Versuchsbedingungen sind dabei jeweils auf die Randbedingungen der betrachteten Demonstratoren abgestimmt. Mit den durchzuführenden Untersuchungen sollen insbesondere die unter den spezifischen Randbedingungen auftretenden Phänomene ergründet werden, die dann in die Modellbildung eingehen. Die auf diese Weise entwickelten Methoden werden zunächst anhand der Modellexperimente verifiziert. Um diese in der Konstruktion nutzen zu können, ist es notwendig die einzelnen Ansätze und Methoden in den „keramikspezifischen“ Entwicklungsprozess zu integrieren. Aufbauend auf den in den bisherigen Förderphasen gewonnenen Erkenntnissen soll die Entwicklung der Methoden weiter vorangetrieben werden. Diese ergänzen die Grundlagen des keramikspezifischen Dimensionierungsprozesses. Von zentralem Interesse sind ferner Fragestellungen zur Übertragbarkeit (C1 und C4) und zu gekoppelten Beanspruchungen (C6 und C7) sowie die mechanismusbasierte mikromechanische Modellierung des Rissfortschritts (C8) in enger Zusammenarbeit mit dem Projektbereich A.

Das Teilprojekt C1 untersucht in Modell- und Prüfstandversuchen das tribologische Verhalten von Keramik/Stahl-Paarungen und entwickelt aus dem wissenschaftlichen Verständnis der Wirkmechanismen gemeinsam mit den Teilprojekten A1 und B3 ein systemspezifisches Wirkflächendesign in Hinblick auf den Einsatz in ölgeschmierten Friktionssystemen, wie z.B. in ölgeschmierten Lamellenkupplungen. Aus den Ergebnissen der grundlagenorientierten Modellversuche in einem hoch auflösenden „In situ-Tribometer“ werden auf Basis von Modellbildungen Auslegungskonzepte für die Mikrotexturierung der Wirkflächen entwickelt und diese in den Prüfstandversuchen bei anwendungsrelevanten Bedingungen untersucht. Die Untersuchungen werden in einer Pellet/Scheibe-Konfiguration unter einsinniger, ölgeschmierter Gleitbeanspruchung durchgeführt, wobei in den Prüfstandversuchen verschiedene Ingenieurkeramiken (Al2O3, Al2O3-ZrO2 und SSiC) ohne und mit Mikrotexturierung der Wirkflächen gegen eine normalisierte 100Cr6-Stahlscheibe gepaart werden. Auf der Basis der grundlagenorientierten Ergebnisse aus C1 werden in A1 neue Lösungen für Lamellenkupplungssysteme mit keramischen Friktionswerkstoffen entwickelt und auf der Systemebene unter den realitätsnahen, komplexen Randbedingungen und Anforderungen untersucht.

Die Entwicklung von Werkzeugen auf Basis stochastischer Methoden zur Bewertung der Zuverlässigkeit eines Bauteils im keramikspezifischen Produktentstehungsprozess stellt das wesentliche Ziel der Arbeiten im Teilprojekt C4 dar. Für die Zuverlässigkeitsbewertung wird das Programm STAU verwendet, womit ausgehend von einer Finite-Elemente Spannungsanalyse die Ausfallwahrscheinlichkeit eines keramischen Bauteils berechnet werden kann. Das Teilprojekt bildet die Schnittstelle zwischen Materialcharakterisierung auf der einen Seite und der Modellierung komplexer Beanspruchungszustände von Bauteilen auf der anderen Seite. Aufbauend auf der Zuverlässigkeitsbewertung keramischer Bauteile bei komplexen, zyklisch auftretenden thermomechanischen Beanspruchungen, wie sie z.B. beim Drahtwalzen auftreten, soll in der beantragten Förderphase eine verallgemeinerte Beschreibung der statischen und zyklischen Rissausbreitungsmechanismen mit dem Ziel einer verbesserten Versagensbeschreibung für Mixed-Mode Beanspruchungen erfolgen. Hierfür werden die Verstärkungsmechanismen, die insbesondere den R-Kurveneffekt und das zyklische Risswachstumsverhalten keramischer Werkstoffe bestimmen, modelliert. Die Modelle für die Verstärkungsmechanismen werden aus experimentellen Untersuchungen zur Rissausbreitung abgeleitet und für die Versagensbeschreibung in STAU auf natürliche Fehler übertragen.

Im Teilprojekt C6 soll die experimentelle Charakterisierung und werkstoffwissenschaftliche Interpretation der gefügeabhängigen Reaktion und des Schädigungsverhaltens von ausgewählten Ingenieurkeramiken bei überlagerter schwingender und tribologischer Beanspruchung erfolgen. Als Einflussgrößen werden hierbei die Frequenz, Amplitude und Mittellast der mechanischen Grundbeanspruchung, welche an Biegestäbchen unter Vier-Punkt-Biege-Beanspruchung realisiert wird, berücksichtigt. Ferner werden die Höhe der tribologischen Beanspruchung, die sich aus der Anpresskraft und der Amplitude der Relativbewegung eines auf der zugbeanspruchten Seite von Biegestäbchen aufgesetzten Gegenkörpers ergibt, die Versuchstemperatur und das Umgebungsmedium betrachtet. Als Werkstoffe werden kommerzielle Varianten von Al2O3 und Si3N4 sowie im Rahmen des SFB’s optimierte Siliziumnitridvarianten berücksichtigt. Auf der Basis umfangreicher licht- und elektronenmikroskopischer Nachuntersuchungen werden insbesondere die Schädigungsmechanismen, die sich bei den unterschiedlichen Werkstoffen einstellen, erfasst und wissenschaftlich durchdrungen. Mit den dabei gewonnen Erkenntnisse soll eine Modellvorstellung entwickelt und in den keramikspezifischen Produktentstehungsprozess integriert werden, um eine Lebensdauerabschätzung für reibermüdungsbeanspruchte Bauteile bei der Konstruktion zu ermöglichen.

Das Teilprojekt C7 befasst sich mit der experimentellen Bestimmung und werkstoffwissenschaftlichen Interpretation der gefügeabhängigen mechanischen Eigenschaften von Ingenieurkeramiken bei komplexen und hochzyklischen mechanischen Beanspruchungen. Schwerpunkt des Teilprojektes ist die Bewertung des Einflusses von Mehrachsigkeit, Temperatur und Umgebungsmedien auf das Versagensverhalten bei Ermüdungsbeanspruchung sowie deren Wechselwirkung mit dem mikrostrukturellen Aufbau von Al2O3 und Si3N4 -basierten Werkstoffen. Im Besonderen soll hierbei die Entstehung und Ausbreitung von Ermüdungsrissen unter mehrachsiger Beanspruchungen betrachtet und daraus ein Mehrachsigkeitskriterium entwickelt werden. Außerdem werden hochzyklische Vier-Punkt-Biegeversuche im Lastspielzahlbereich von 107 bis 109 Lastspielen und zyklische Rissausbreitungsversuche unter Mode I-, Mode II- und Mixed-Mode-Belastungen durchgeführt. Ziel ist es, das Ermüdungsverhalten von Al2O3 und Si3N4 unter den betrachteten Randbedingungen zu verstehen und in Modellen abzubilden. Diese werden dann in den Dimensionierungsprozess integriert.

Im neubeantragten Teilprojekt C8 soll speziell der Rissfortschritt in gefügeverstärkten Hochleistungskeramiken am Beispiel von Si3N4 untersucht werden. Die durchzuführenden mikromechanischen Simulationen basieren auf den ablaufenden Schädigungsmechanismen und sollen das Verständnis für die Auswirkungen unterschiedlicher Verstärkungsmechanismen und speziell des Debonding-Prozesses in intergranularen Korngrenzfilmen mehrphasiger Keramiken auf die mesoskopischen und makroskopischen mechanischen Eigenschaften erweitern. Damit kann die Basis für den Dimensionierungsprozess auf der Ebene der keramischen Komponente bei der Konstruktion gestärkt werden. Zusätzlich werden die Schädigung auf der Gefügeebene und die sich ausbildende Risswiderstandkurve simuliert. Hierbei wird durch eine ortsaufgelöste Modellierung der Risspfade entlang der intergranularen Korngrenzfilme die tatsächliche Gefügeausbildung des betrachteten Modellwerkstoffs Si3N4 berücksichtigt, dessen Verstärkung unter anderem vom Volumenanteil, der Größen- und Orientierungsverteilung stängelförmiger Kristalle abhängt.